Tractatus-Verleihung im Rahmen des 27. Philosophicum Lech

Feierliche Verleihung des Tractatus 2024 – Essay-Preis des Philosophicum Lech ­an Philipp Hübl für das Buch Moralspektakel

Freitagabend fand die feierliche Verleihung des Tractatus 2024 – des mit 25.000 Euro dotierten Essay-Preises des Philosophicum Lech statt. Die renommierte Auszeichnung erhält dieses Jahr der deutsche Philosoph Philipp Hübl für sein Buch „Moralspektakel. Wie die richtige Haltung zum Statussymbol wurde und warum das die Welt nicht besser macht.“ Laut Jury-Begründung gelingt ihm „mit einer empirisch tiefer gelegten Anthropologie eine erfrischend kalte Dusche für die moralisch überhitzten Diskurse der vergangenen Jahre: eine wohltuende, zur allgemeinen Abrüstung einladende Ernüchterung“. Als ein alljährlicher Glanzpunkt des Symposiums fand die öffentliche Veranstaltung erstmals in den „Lechwelten“, dem neuen Kultur- und Kongresshaus von Lech am Arlberg statt. Großen Publikumszuspruch fanden sowohl die Laudatio von Jury-Mitglied Ijoma Mangold als auch die Dankesrede des Preisträgers. Einen Bogen zur Themenstellung des diesjährigen Philosophicum Lech schlagend, betonte Hübl, er habe sein Buch „als radikale Selbstkritik formuliert. Das passt auch zum Konferenzthema. Philosophen sollten nicht nur den Sand im Getriebe der Gesellschaft aufspüren, sondern auch den im eigenen Getriebe.“

 

Am Freitag, den 20. September, um 21 Uhr erfolgte die feierliche Verleihung des Tractatus 2024 im Rahmen des 27. Philosophicum Lech. Dieses setzt sich heuer unter dem Titel „Sand im Getriebe. Eine Philosophie der Störung“ aus vielfältiger Perspektive mit dem ambivalenten Charakter von Störungen aller Art auseinander und lotet auch aus, inwieweit der Philosophie selbst eine solche Funktion zukommt –etwa im Sinne eines Störmoments, das zu überraschenden, womöglich unbequemen und nicht zuletzt umwälzend neuen Erkenntnissen führt. Dieser Aspekt wird auch bei der Vergabe des Tractatus honoriert. Die durch den Abend der Preisverleihung führende Schweizer Philosophin und Co-Intendantin des Philosophicum Lech Barbara Bleisch erläuterte zu den Kriterien für die Verleihung des Tractatus: „Prämiert werden Texte, die aktuelle Fragen unserer Zeit mit philosophischem Gespür und mutigem Duktus aufgreifen und weiterdenken.“ Ins Leben gerufen wurde der Essay-Preis 2009 auf Anregung des Schriftstellers Michael Köhlmeier. Dank privater Sponsoren ist der Tractatus mit 25.000 Euro hoch dotiert und gehört zu den renommiertesten Auszeichnungen auf dem Gebiet der Essayistik im deutschsprachigen Raum. Für die alljährliche Auswahl preiswürdiger Werke verantwortlich zeichnet eine hochkarätig besetzte dreiköpfige Jury, die den D-A-CH-Raum repräsentiert. Diese besteht aus der Literaturwissenschaftlerin, Kritikerin und Essayistin Daniela Strigl,(A), der Philosophin, Kulturjournalistin und Publizistin Catherine Newmark (CH) sowie dem Literaturkritiker und Autor Ijoma Mangold (D). Unter Vorsitz des langjährigen wissenschaftlichen Leiters, nunmehr Co-Intendanten des Philosophicum Lech Konrad Paul Liessmann (nicht stimmberechtigt) erstellte die Jury zunächst als Vorauswahl die im Juli veröffentlichte Tractatus-Shortlist. Diese versteht sich als ausdrückliche Würdigung der Publikationen und Lektüreempfehlung:

www.philosophicum.com/tractatus/shortlist/shortlist-2024

 

Preisträger des Tractatus 2024 ist der Philosoph Philipp Hübl

Nach eingehender Diskussion fiel die Wahl der Jury dieses Jahr auf das Buch „Moralspektakel. Warum die richtige Haltung zum Statussymbol wurde und warum das die Welt nicht besser macht““ des deutschen Philosophen und Publizisten Philipp Hübl, das im April dieses Jahres im Siedler Verlag erschienen ist. In der Jury-Begründung wird die spezielle Qualität, umwälzende Stoßrichtung und somit große Relevanz der mit dem Tractatus bedachten Publikation hervorgehoben: „Wir schauen zurück auf ein Jahrzehnt hitzig geführter Debatten, die stets davon geprägt waren – ganz gleich, ob es um Klimawandel oder Migration ging –, dass die streitenden Parteien der jeweiligen Gegenseite die moralische Respektabilität absprachen. (…) Mit ‚Moralspektakel‘ bricht der Philosoph Philipp Hübl aus dieser gegenseitigen Abwertungsspirale aus, indem er einen Schritt zurücktritt und den moralischen Wert von Moral selbst in Frage stellt. Vielleicht ist die Moral ja gar nicht so moralisch? Sie ist ihrerseits nämlich immer auch ein Mittel im Kampf um Status und Anerkennung. (…) So gelingt Hübl mit einer empirisch tiefer gelegten Anthropologie eine erfrischend kalte Dusche für die moralisch überhitzten Diskurse der vergangenen Jahre: eine wohltuende, zur allgemeinen Abrüstung einladende Ernüchterung.

 

Philipp Hübl studierte Philosophie und Sprachwissenschaft in Berlin, Berkeley, New York und Oxford. Er lehrte Theoretische Philosophie an der RWTH Aachen, der Humboldt-Universität zu Berlin und als Juniorprofessor an der Universität Stuttgart. Danach war er Gastprofessor für Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität der Künste Berlin. Er ist Autor des Bestsellers Folge dem weißen Kaninchen (2012), der BücherDer Untergrund des Denkens (2015), Bullshit-Resistenz (2018), Die aufgeregte Gesellschaft (2019) und Moralspektakel (2024) sowie von journalistischen Beiträgen in fast allen überregionalen deutschsprachigen Zeitungen und Magazinen.

 

Feierliche Verleihung des Tractatus 2024 mit Laudatio von Ijoma Mangold

Den feierlichen Rahmen der Tractatus-Verleihung bildeten erstmals die Lechwelten, das im Frühjahr eröffnete Kultur- und Kongresshaus im historischen Ortskern von Lech am Arlberg, das sich unter anderem durch sein ansprechendes Ambiente auszeichnet Musikalisch umrahmt wurde der Festakt von dem eigens für diesen Anlass komponierten Streich-Trio-Zyklus des vielseitigen und vielfach prämierten Vorarlberger Komponisten und Musikers Marcus Nigsch, dargeboten vom Ensemble Trio Tractatus. Die Laudatio hielt Ijoma Mangold, kulturpolitischer Korrespondent der Wochenzeitung „Die Zeit“, Autor zahlreicher gefeierter Sachbücher und Kritiker in der Sendung „lesenswert“ des SWR-Fernsehens. Als einen von vielen Gründen für die Prämierung dieses „augenöffnenden Buchs“, wie Mangold betonte, hob das Jury-Mitglied hervor: „In der Kontinentalphilosophie geht es traditionellerweise um das reine Denken, zu starke Wirklichkeitsreferenzen gelten da schnell als allzu irdische Eintrübungen der reinen Formen. Philipp Hübl hingegen ist, so gesehen, ein Philosoph, der sich die Hände schmutzig macht, der also jederzeit überprüft, wie es um die Praxis jener Apriori-Sätze steht, die im sprichwörtlichen Elfenbeinturm so edel, hilfreich und gut daherkommen.“ Als weitere besondere Qualität verwies der Laudator auf die Beobachtung zweiter Ordnung von Hübl – im Unterschied zu einer Beobachtung erster Ordnung wie der Frage, was moralisch sei. Stattdessen fragt Philipp Hübl nach der Funktion der Moral, was zu einer erfrischend neuen Perspektive und demaskierenden Erkenntnis führt. Diesbezüglich zitierte Mangold aus dem Tractatus-prämierten Werk: „Weil sich unser Moralinstinkt nicht entwickelt hat, um schwierige Gerechtigkeitsprobleme zu lösen, sondern um von unseren Partnern, Verwandten, Freunden, Bekannten und Kollegen anerkannt zu werden, geht es im Alltag bis heute nicht zuallererst darum, moralisch zu sein, sondern darum, moralisch zu erscheinen.“ Das Buch sei eine Anleitung, genauer zwischen Sein und Schein zu unterscheiden und unsere Sensibilität dafür zu schärfen, dass die Moral mehr als andere gesellschaftlichen Werte dazu verführt, auf Schein statt auf Sein zu setzen, so Mangold.

 

In der anschließenden Dankesrede von Philipp Hübl strich dieser einen seiner leitenden Gedanken beim Verfassen des Buchs hervor: „Die abendländische Philosophie begann mit Sokrates‘ Streben nach Selbsterkenntnis. Die moderne Psychologie lehrt uns, dass Selbstkritik ein wichtiger Bestandteil dieses Strebens ist. Daher habe ich mein Buch ‚Moralspektakel‘ als radikale Selbstkritik formuliert. Das passt auch zum Konferenzthema. Philosophen sollten nicht nur den Sand im Getriebe der Gesellschaft aufspüren, sondern auch den im eigenen Getriebe.“ Die Dankesrede wie auch die Laudatio fanden beim Publikum großen Anklang und Sympathien. Zum Abschluss des Festakts betonte der Obmann des Vereins Philosophicum Lech Ludwig Muxel: „Ich danke und gratuliere Ihnen sehr herzlich, Herr Hübl. Sie sind wahrlich ein würdiger Preisträger des Tractatus 2024.“

 

Weitere Informationen sowie eine Aufzeichnung dieser Verleihung finden Sie auf www.philosophicum.com